Jörg Rostek in Soest

Klimanotstand plus Bürgerbegehren gleich mehr Klimaschutz

Klimanotstand plus Bürgerbegehren gleich mehr Klimaschutz – Teil 1
Klimanotstand plus Bürgerbegehren gleich mehr Klimaschutz – Teil 2

Kommunen auf der ganzen Welt rufen den „Klimanotstand“ aus. Warum das gut ist und wie Klimabewegte vor Ort daraus Nutzen ziehen können, beschreibt dieser Text.

Ein neuer Begriff ist in der Klimaschutzdebatte aufgetaucht: der Klimanotstand. Mag sein, dass dieses Wort bei manchen – vor allem historisch Interessierten – Erinnerungen an sogenannte Notstandsgesetze weckt und deshalb etwas unglücklich daherkommt. Aber tatsächlich bedeutet die Ausrufung eines Klimanotstandes keineswegs, dass dadurch demokratische Prozesse und Strukturen außer Kraft gesetzt werden. Es ist statt dessen so, dass eine Kommune durch die Entscheidung, den Klimanotstand auszurufen, anerkennt, dass…

  1. … sich das Weltklima in einer von Menschen verursachten Krise befindet,
  2. … sie sich als Gemeinschaft in der „Einen Welt“ wahrnimmt und
  3. … auch gegenüber den Menschen Verantwortung übernimmt, deren Lebenslage schon heute stark durch die Klimakrise beeinträchtigt wird.

Den Klimanotstand auszurufen heißt auch keineswegs, die vorangegangenen Klimaschutzmaßnahmen als sinnlos oder überflüssig zu erklären oder das vorherige klimapolitische Engagement geringzuschätzen. Ein solcher Beschluss sagt nur, dass sie bisher nicht ausreichten und effektivere klimapolitischen Maßnahmen notwendig seien, um Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. Der Klimanotstand stärkt allen Klimabewegten den Rücken. Denn – auch wenn es sich beim Klimanotstand eher um eine symbolische Entscheidung handelt, ist eine Kommune aufgerufen, nun alle politischen und planerischen Entscheidungen der Kommune auf die Erfordernisse des Klimaschutzes zu prüfen und die Beschlüsse damit in Einklang zu bringen. Klimanotstand, das bedeutet den Versuch, die representative Demokratie und Ökologie miteinander zu versöhnen.

Klartext reden und Problembewusstsein schaffen

Die Klimakrise ist in der Vergangenheit eher verharmlosend beschrieben worden. Klimawandel, Erderwärmung… das klingt, als hätten die Menschheit noch Jahrzehnte Zeit, den CO2-Ausstoss entscheidend zu verringern, um so die Erderhitzung erträglich zu halten. Dabei ist sich die Wissenschaft darin einig, dass die Zeit drängt. Konservativ geschätzt, hat die Menschheit nur noch 10 bis 15 Jahre Spielraum, um die durchschnittliche (!) weltweite Temperaturerhöhung bei 1,5 bzw. 2 Grad Celsius aufzuhalten und die Gefahr unrückholbarer Kipppunktereignisse zu bannen. Es muss also Klartext gesprochen werden. Also das getan werden, was Greta Thunberg und Fridays For Future in den vergangenen Monaten so erfolgreich gemacht hat. Denn Sprache schafft Bewusstsein – auch Problembewusstsein. Greta Thunberg hat gesagt, dass das Haus brennt. Wie sollen wir dieses Feuer löschen, wenn wir nicht darauf hinweisen, das es so ist? Schon längst hätten die Auswirkungen der Klimakrise drastischer kommuniziert werden sollen. Schon längst hätte auch der Begriff der Klimagerechtigkeit stärker in die Klimadiskussionen Einzug halten sollen. Denn Klimagerechtigkeit bedeutet, dass jeder Mensch das Recht hat, zu Hause klimatische Bedingungen vorzufinden, die es ihm ermöglichen in Würde zu leben. Dass allerorten in Deutschland die Heimat hochgehalten, aber gleichzeitig die Heimat von Millionen Menschen faktisch weggegrillt wird, ist ein Unding. Wenn mittlerweile Millionen Menschen unter extremen Wetterverhältnissen wie Hitze, Dürre und Wirbelstürmen leiden – und selbst nicht einmal den Großteil der CO2-Vorkommen in der Atmosphäre ausgestoßen haben, dann ist dieser Grundsatz und ihre Würde in Gefahr. Vor allem dann, wenn Lebensgrundlagen verloren gehen und sich die Anzahl von Hitzetote (siehe Juni 2019) immer mehr häufen. Diese Umstände erkennt an, wer den Klimanotstand ausruft und radikale Klimaschutzmaßnahmen einfordert. Fridays for Future, deren Schlachtruf es ist „What do you want? Climate justice! When do you want it? Now!“ hat das verstanden.

Wie Münster den Notstand ausrief

Über 660 Gemeinden in 15 Ländern mit über 120 Millionen Einwohner*innen (Stand 23.07.19) haben laut Website „Climate Emergency Declaration“ den Klimanotstand ausgerufen. In Münster waren es die Parents For Future, die unterstützt vom Klimabündnis in Hamm auf die Idee kamen. Als Mitglied der Orgagruppe von Fridays For Future Münster wurde ich auf die Idee des Klimanotstandes gestoßen, als die Forderung das Orgaplenum erreichte. Gemeinsam besprachen wir das Thema, passten den Mustertext den lokalen Anforderungen an (siehe hier als pdf zum Download) und reichten den Antrag nach §24 GO NRW in den Rat der Stadt Münster ein. Dabei war uns klar, dass wir die vergangenen Klimaschutzbemühungen der Stadt Münster nicht schlechtreden wollten. Wir wollten aber darauf hinweisen, dass es noch nicht reicht – auch deshalb, weil Münster seine eigenen Klimaziele – trotz Masterplan 100 % Klimaschutz und Klimabeirat – verfehlt. Parallel arbeiteten wir an einem lokalen Forderungskatalog, der, so hofften wir, offenere Ohren finden würde, wenn der Klimanotstand verabschiedet worden sei. Unsere Logik: die Ausrufung eines Notstandes ohne den Wunsch ihn zu beheben, ist sinnlos. Auch gab uns zu diesem Zeitpunkt Rückenwind, dass Konstanz, Heidelberg und das britische Unterhaus den Klimanotstand anerkannt hatten. Später sollten Städte wie Köln oder Düsseldorf folgen. Wir passten also den Mustertext an und reichten ihn am 4. Mai 2019 in den Stadtrat ein. Anschließend gab es zahlreiche Gespräche mit münsteraner Ratsleuten und schließlich legte die Verwaltung eine eigene Vorlage vor, die in zahlreichen Punkten vom Fridays For Future – Antrag abwich. Das führte dazu, dass zahlreiche „Parents“ und weitere Aktive forderten, die Verwaltungsvorlage öffentlich abzulehnen. Schließlich kam es zu einem Treffen mit dem Stadtdezernenten für „Wohnungsversorgung, Immobilien und Nachhaltigkeit“ der Stadt Münster. Er versicherte Fridays for Future, dass er den Notstand ernst nehme und die Ausrufung des Klimanotstandes der Stadtverwaltung helfe, den Klimaschutz voranzutreiben. So kam es, dass der Antrag der Verwaltung bereits am 22. Mai 2019 angenommen wurde (hier die angenommene Antragsversion der Stadtverwaltung als pdf zum Download). Nur die AfD und die FDP stimmten dagegen. Drei CDU-Ratsleute enthielten sich.

Klimanostand bringt kritische Öffentlichkeit hervor

Ist ein Antrag auf Klimanotstand eingereicht, wird er meist zuerst vom Stadtrat in den dafür zuständigen Ausschuss verwiesen. Dies gibt den Antragsteller*innen die Zeit, den Antrag öffentlich zu verteidigen und entsprechende Veranstaltungen anzubieten. Da – oft begleitet von der Lokalpresse – mediale Berichterstattung stattfindet, bietet dies allen Klimabewegten die Chance, ihre Ziele öffentlich zu erklären. Meist entsteht von Anfang bis Ende, also von der Einreichung bis zur Abstimmung eines Klimanotstandes, eine demokratische Dramaturgie, die von vielen Menschen aufmerksam begleitet wird. Um dabei einen hohen Grad an Aufklärung zu ereichen, können Wissenschaftler*innen zu Vorträgen einladen werden, um die Dramatik der Klimakrise einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und die politische Bedeutung eines echten und konsequenten Klimaschutzes zu unterstreichen. Der Zeitraum bis zur Abstimmung kann auch dazu genutzt werden, eine Bilanz der vergangenen kommunalen Klimapolitik zu ziehen und zu überprüfen, ob geplante Maßnahmen ausreichend waren. Den Gegner*innnen der Klimanostandsausrufung fällt es umso schwerer den Antrag im Rat abzulehnen, je mehr Menschen sich für das Thema Klimakrise und ihre Auswirkungen interessieren. Oft wird durch die Debatte eine kritische und klimabewegte Öffentlichkeit erst geschaffen. Diese Öffentlichkeit – politisiert und organisationsbereit – hat den Wunsch, über die Dauer des Antragsprozesses hinaus aktiv zu sein, weil klar ist, dass nach der Ausrufung eines Klimanotstandes die „eigentliche Arbeit“, also den Klimaschutz grundsätzlicher anzugehen, gerade erst beginnt. Diese Perspektive kommt nicht nur den jungen Leuten von Fridays For Future zugute, sondern auch allen Umweltschutzorganisationen, die zu diesem Thema arbeiten, weil sie aufgrund ihres Expert*innenwissens in der Lage sind, vergangene Fehler zu benennen und unerfüllte Forderungen abermals anzubringen. Auch für BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN erschließt sich so nicht nur neues Mitgliederpotential, sondern auch die Chance, sich als Klimaschutzpartei vor Ort zu bewähren und an der Seite einer klimabewegten Zivilgesellschaft Erfolge zu erringen.

Konkrete Vorteile des Klimanotstandes

Auf den Punkt gebracht bietet die Diskussion und die Ausrufung des Klimanotstandes folgende Vorteile.

  1. Die Diskussion über die Klimapolitik der eigenen Stadt wird angeregt und erreicht mehr Menschen.
  2. Auch wenn es ein symbolischer Akt ist, gibt eine Kommune so ein Versprechen an junge Leute und zukünftige Generationen, den Klimaschutz ernst zu nehmen.
  3. Es ist ein Signal an andere Städte und an diejenigen, die schon heute extrem unter der Klimakrise leiden.
  4. Es ist die Aufforderung an die Stadtverwaltung, den Klimaschutz besser in Verwaltungsvorgänge wie Vorlagen und weitere allgemeine Vorgänge zu integrieren.
  5. Schließlich ist es die Chance radikale klimapolitische Maßnahmen zu ergreifen.
  6. Und geschieht dies nach der Ausrufung nicht, so kann von GRÜNER Seite der Klimanotstand im Kommunalwahlkampf 2020 als Wahlkampfinstrument eingesetzt werden.

Klimawende von unten – Klimaschutz durch direkte Demokratie

Das bayrische Volksbegehren „Rettet die Bienen“ hat bewiesen, dass direkt-demokratische Elemente entscheidend zum Erfolg ökologischer Parteien und Bewegungen beitragen können. Da sich mancherorts GRÜNE und klimabewegte Aktive in den Stadträten in der Minderheit befinden, sollte dort, wo die Rahmenbedingungen für eine Ausrufung als ungünstig wahrgenommen werden, verstärkt über die Gründung einer begleitenden direkt-demokratischen Bürgerinitiative nachgedacht werden. Die „Klimawende von unten“ ist, spätestens seit die Fridays For Future-Bewegung auf der politischen Bühne erschienen ist, eine empfehlenswerte Option. Vor allem dann, wenn die Debatte vor Ort beweist, dass eine kritische Masse innerhalb der Bevölkerung dem Klimanotstand und weiteren damit einhergehenden Klimaschutzmaßnahmen offen gegenübersteht. Eingebettet in die „Dramaturgie der Klimanotstandsdebatte“ kann eine Bürgerinitiative eine große Zugkraft entfalten, die mit Hilfe von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden Diskussionen nicht verschleppt, sondern dank einer zunehmend interessierten und kritischen Öffentlichkeit an ein klimagerechtes Ende führt.

Folgende Schritte sind dafür erforderlich:

  1. Klimanotstandsantrag einreichen.
  2. Ist in einer Kommune die Diskussion um den Klimanotstand eröfffnet, sollte umgehend eine Bürgerinitiative für das Klima gegründet werden. Sind bereits solche Bürgerinitiativen vorhanden, sollten diese zusammengeführt werden.
  3. Anschließend sollte mit Hilfe von §24 Gemeindeordnung NRW gefordert werden, dass die Stadt einen Übersicht aufstellt, die den kommunalen CO2-Ausstoß in Tonnen und Sektoren aufschlüsselt.
  4. Anschließend sollte ein weiterer Antrag nach §24 GO NRW eingebracht werden, der die Kommune auffordert, einen Plan auszuarbeiten, um bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (wissenschaftliche Empfehlung einholen) klimaneutral zu werden.
  5. Falls der Stadtrat die Anträge annimmt, begleitet die Bürgerinitiative die Umsetzung der ökologischen Ziele durch die Verwaltung.
  6. Falls der Stadtrat beides ablehnt, leitet die Bürgerinitiative ein Bürgerbegehren ein, um dem Stadtrat die Chance zu geben, den Antrag doch noch anzunehmen. Tut er es nicht, kommt es zum Bürgerentscheid und alle wahlberechtigen Einwohner*innen dürfen über die Anträge abstimmen.

von Jörg Rostek

Der Autor ist Geschäftsführer des Kreisverbandes Hochsauerland und des Bezirksverbandes Westfalen von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN.

Literaturhinweise

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